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Mangel an Holzkisten

«Ganz Europa schwimmt in Kartoffeln»: Üppige Ernte beschert Bauern seltenes Problem


Derzeit ziehen Produzenten Kartoffeln und Lagergemüse in rauen Mengen aus dem Boden. Deshalb fehlen überall Transportkisten. Landwirt Niklaus Ramseyer muss nun die Ernte unterbrechen.

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«Es isch gäng öppis.» Niklaus Ramseyer ist seit Anfang Jahr Präsident der Schweizer Kartoffelproduzenten. Vorher amtete der Landwirt und Agronom während sieben Jahren als deren Geschäftsführer. Er habe noch nie erlebt, dass die Produzentinnen und Produzenten ohne spezielle Herausforderung durch die Saison gekommen seien, sagt er.


Letztes Jahr sorgte nach dem nassen Frühling die Krautfäule in der Schweiz für Ausfälle, im Vorjahr verursachte die Trockenheit Probleme. Die Erträge fielen entsprechend tief aus. Dieses Jahr nun war das Wetter optimal, nur der zu heisse Juni bremste das Wachstum leicht. «In allen Landesteilen der Schweiz war es bisher ein gutes Kartoffeljahr», resümiert Ramseyer.


Es mangelt an Paloxen

Eigentlich empfängt der höchste Schweizer Kartoffelbauer seinen Besuch auf seinem Feld in Schüpfen, um zu erklären, was mit jenen kleinen Knollen passiert, die durch die Ritzen der Erntemaschine fallen und ungenutzt am Boden liegen bleiben. Aber aktuell geben in seiner Branche weniger die Kartoffeln zu reden als die Gebinde, in denen diese zu den Verarbeitern transportiert werden – sollten. Es fehlt an Paloxen.


Die Holzkisten, in denen eine Tonne Kartoffeln Platz findet, sind knapp geworden. Niklaus Ramseyer wird seine Ernte unterbrechen müssen, bis wieder Transportboxen frei werden. «Einigen Produzenten fehlen weit über 100 Stück», weiss er.


Die Gebinde gehören in den meisten Fällen den Händlern wie etwa der Fenaco oder der Terralog in Kirchberg. Bei ihnen holen die Landwirte die leeren Kisten jeweils ab und bringen sie gefüllt zurück – im Normalfall.


«Es gibt auch extrem viele Rüebli, Zwiebeln und Randen», sagt Patrick Forster, Geschäftsführer der Terralog. Das sei mit ein Grund, weshalb die Gebinde heuer schneller voll würden als in anderen Jahren. Nachbestellen kann er nicht ohne Weiteres. In ganz Europa seien Paloxen gesucht.


«Ganz Europa schwimmt in Kartoffeln», weiss auch Ramseyer. In den umliegenden Ländern sei dieses Jahr deutlich mehr angebaut worden. Zölle schützen die Schweizer Produktion. Die Landwirte erhalten heuer für Speisekartoffeln zwar rund 5 Franken weniger pro 100 Kilo als letztes Jahr, müssen aber nicht befürchten, dass der Markt mit billigen europäischen Kartoffeln überschwemmt wird. Mit dem Preis hadert Ramseyer also nicht.


Spannung steigt wegen Paloxenmangel

Aber die fehlenden Paloxen «sind eine Herausforderung», sagt er. Nicht nur, weil es die Landwirte wurmt, wenn sie wie letzte Woche, als die Böden einigermassen trocken waren, die Ernte unterbrechen müssen. «Je nach Wetterumschwung kann auch die Qualität leiden», gibt der Landwirt zu bedenken. Er ist deshalb gespannt, wie sich Kälte auf den Stärkegehalt auswirkt, und ob die Industriekartoffeln die Backtests für Pommes frites noch bestehen werden.

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Was, wenn nicht? Wer trägt die Verantwortung? «Das wird zu interessanten Diskussionen führen», sagt der 31-jährige Kartoffelbauer. Patrick Forster hält fest: «Wir sind vertraglich nicht verpflichtet, den Produzenten Gebinde zur Verfügung zu stellen.» Der Terralog-Chef betont: «Jetzt braucht es gegenseitiges Verständnis.»


Er verstehe ja auch, dass die Landwirte die Saatkartoffeln des idealen Wetters wegen im Frühling früher gesetzt hätten als in anderen Jahren. Deshalb seien sie jetzt auch früher reif. Zudem hätten die Landwirtinnen und Landwirte in den letzten Jahren stark in Erntemaschinen investiert. «Es ist erstaunlich, was die heute an einem Tag graben können.»


Sonst zu viel Paloxen, jetzt zu wenig

Während Terralog sonst jedes Jahr 500 bis 3000 Paloxen im Haus habe, die nie gebraucht würden, seien aktuell alle im Umlauf. Sie werden erst nach und nach wieder frei. «Ich gehe nicht davon aus, dass an den Knollen Schäden entstehen werden», sagt Patrick Forster. «Aber ja, die Landwirte müssen sich etwas gedulden.»


Auch Inoverde, die Lebensmittelgrosshändlerin der Fenaco, wurde mit dem Ausmass der hohen Ernteerträge bei Kartoffeln und Lagergemüse konfrontiert. Und damit, dass zu viel davon zur gleichen Zeit eingebracht wurde. So konnte sie den Bedarf an Leergebinde ebenfalls nicht mehr decken. Man habe im europäischen Raum Nachschub bestellt, ab nächster Woche bis Ende Oktober würden die Teile angeliefert und montiert. «Dies dürfte den Engpass etwas entschärfen», schreibt Inoverde auf Anfrage.


Auch gehen die Verantwortlichen nicht davon aus, «dass die Annahme der Ernte beeinträchtigt wird». Entschädigungszahlungen seien jedenfalls nicht vorgesehen. «Unsere Produzentinnen und Produzenten bitten wir in der aktuell herausfordernden Lage um Verständnis und Geduld.»


Die durchgefallenen Kartoffelknollen

Im Moment will Niklaus Ramseyer noch nicht von einer dramatischen Situation sprechen. Vorerst bleibt ihm nichts anderes übrig, als zu warten. So hat er Zeit, sich der eingangs gestellten Frage nach den liegen gebliebenen Kartoffeln zu widmen: Darf man sich auf einem Spaziergang entlang eines abgeernteten Kartoffelfeldes die Knollen aneignen, die beim Ernten verloren gegangen sind, um sie beim abendlichen Raclette zu geniessen?


«Das darf man», antwortet der Landwirt, erwartet aber, dass die Bauernfamilien vorgängig um Erlaubnis gefragt werden. Grundsätzlich würde es jedoch nicht nur der Haushaltskasse der Spazierenden dienen, wenn keine Kartoffeln liegen blieben, sondern auch der Feldhygiene. Der Fachmann erklärt: Schalenfeste Knollen können wieder austreiben, es wachsen neue Stauden nach.


Auf ihrem Kartoffelacker in Winterswil bei Schüpfen wollen die Brüder Ramseyer diesen Herbst Getreide ansäen. Würden nun viele Knollen liegen bleiben, könnten sich Probleme ergeben. Pilze und Bakterien, die von den Kartoffeln leben, würden sich im nächsten Jahr ausbreiten, Krankheiten nähmen zu.


Niklaus Ramseyer geht allerdings nicht davon aus, dass auf seinem Feld dafür aktuell ein Risiko besteht: Nur wenige Knollen sind durch die Löcher gefallen. Aber für einen währschaften Racletteabend würde es durchaus reichen. Quelle: Berner Zeitung

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