Deutschland muss sich von den Lebenslügen der Energiewende lossagen
- Hans-Peter Holbach
- 2. Apr.
- 2 Min. Lesezeit
Auf den ersten Blick ist die deutsche Energiewende eine Erfolgsgeschichte. Im vergangenen Jahr steuerten Wind- und Sonnenkraft 62,7 Prozent des Stromes bei, so viel wie noch nie. Zugleich stiess Deutschland so wenig Kohlendioxid aus wie lange nicht mehr. Im Jahr 2023 erreichte der CO2-Ausstoss den tiefsten Stand seit siebzig Jahren, 2024 ging er noch einmal zurück.

Man könnte also meinen: Deutschland ist auf Kurs. Es muss nur weiter kräftig Windräder und Solaranlagen bauen, dann stellt sich die Klimaneutralität ganz von allein ein.
Doch das stimmt nicht. In Wahrheit sind die Erfolge der deutschen Energiewende teuer erkauft. Der historische Tiefstand bei den Treibhausgasemissionen 2023 etwa war laut Agora Energiewende «überwiegend kein klimapolitischer Erfolg». Der wesentliche Grund war vielmehr, dass die Industrieproduktion infolge der Energiekrise einbrach.
Auch die Menge des Stroms, den Wind und Sonne liefern, sagt kaum etwas aus. Entscheidend ist ihr Wert. Und der ist in der Regel gering. Im Sommer ist so viel Solarstrom in den Netzen, dass Deutschland Nachbarländer sogar dafür bezahlen muss, dass sie ihn abnehmen.
Im Winter hingegen liefern die Erneuerbaren an manchen Tagen so wenig Strom, dass die Nachbarn aushelfen müssen. Kürzlich explodierten deshalb die Preise in diesen Ländern, es kam zu politischen Verwerfungen.
Für die Schwerindustrie und die petrochemische Industrie ist der Strom schon seit langem zu teuer. Das Institut der deutschen Wirtschaft kam Ende 2023 zu dem Schluss, die Strompreise für die Industrie seien spätestens seit der Energiekrise «im internationalen Vergleich nicht mehr wettbewerbsfähig». Nicht einmal Deutschlands Klimabilanz kann sich sehen lassen. Im Vergleich zu den Nachbarländern ist der Strom hierzulande besonders dreckig. Und das, obwohl Deutschland die Erneuerbaren seit der Jahrtausendwende mit mehr als 200 Milliarden Euro gefördert hat.
Ziel muss eine marktorientierte Energiepolitik sein. Die künftige Bundesregierung sollte voll auf den europäischen Emissionshandel setzen, der 2027 auf den Verkehr und Gebäude ausgedehnt wird. Er setzt den Rahmen und verteuert den Ausstoss von CO2. Er kann aber nur dann eine steuernde Wirkung entfalten, wenn die Marktakteure innerhalb dieses Rahmens vollständige Freiheiten geniessen. Das bedeutet: Alle Verbote, wie etwa klimaschonende Kernkraftwerke zu betreiben, gehören abgeschafft. Staatliche Zuschüsse für erneuerbare Energien ebenfalls. Windräder und Solarmodule müssen sich fortan am Markt bewähren.
Es braucht keine Ausbauziele für Solaranlagen und Windräder, keine Planung für Gaskraftwerke und keine Überlegungen über den künftigen Strommix. Wenn der Emissionshandel scharf gestellt wird, steuert er den Markt wirksam.
Wer all das begriffen hat, der kann sich zugleich von mehreren klimapolitischen Lebenslügen verabschieden. Dazu gehört der Glaube, Wind und Sonne allein könnten eine Industrienation klimaneutral machen und wettbewerbsfähig halten. Aber auch die Illusion, nur die Erneuerbaren seien nachhaltig. (Autor: Morten Freidel), Quelle: NZZ – Der andere Blick am Abend).
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